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Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

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Einmal, berichtet uns die Erzählerin im Vorwort des Buches, habe sie in der U-Bahn eine Panikattacke bekommen. Um sie auszuhalten, versuchte sie sich vollkommen auf alles zu konzentrieren, was um sie herum passierte, und ihr Blick blieb an einer Frau hängen, die ihr schon zuvor aufgefallen war. So konnte sie sich selbst in Sicherheit bringen vor ihrer Angst.
Dieses Schlüsselerlebnis ist der Grundstein meiner nunmehr zehn Jahre anhaltenden Beobachtungsreise. Eine Art Therapie, die mich – außer unzähligen Tassen Kaffee – nichts kostet. Von West nach Ost (Berlin) habe ich mich durch sämtliche Cappuccinos probiert. Mehr habe ich in den letzten zehn Jahren gefühlt nicht gemacht. Sitzen, Nippen, Beobachten, Tippen.

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Die Lust an der Beobachtung

Linda Rahel Sabiers beginnt also, Szenen der Großstadt zu notieren. Sie will nicht garantieren, dass sich alles wirklich so zugetragen hat, aber es klingt danach. Sie will weder werten, noch urteilen. Sie will vielleicht noch am ehesten so etwas sein wie ein „stummer Spiegel“. „Tagebuch der Großstadt – ohne Schloss und Schlüssel“ nennt sie ihre Sammlung für sich selbst. Entstanden sind dabei kleine Geschichten, Anekdoten, Dialogsprengsel aus dem Alltag in der großen Stadt, hauptsächlich Berlin. Ein paar wenige Szenen spielen auch in Köln. Auffallend an Sabiers Miniaturen ist auch, dass kein Wort zu viel geschrieben ist. Was einen sofort einnimmt, sind die vielen unterschiedlichen Menschen und Lebensalter, die uns erzählt werden, vom kleinsten Kind, gerade der Sprache mächtig, bis zum alten Stadtbewohner, alle kommen vor. Und ich schicke es voraus: Das ist ein Buch (wenigstens) für alle Berliner Freunde und Berlin-Freunde, die Bücher an einem Örtchen liegen haben, wo sie manchmal auch nur ein bisschen alleine herumsitzen – und nicht Trübsal blasen wollen. Sie werden ihre Freude haben.
Auf der Eingangstreppe des Gorki-Theaters sitzen ein Mann und eine Frau. Sie hält mit der einen Hand seine, in der anderen Hand ein Glas Rotwein. Er schluchzt, durch die offenen Flügeltüren hören wir den ersten Gong.
„Ich sagte doch nur, dass du dir endlich mal deine Gefühle eingestehen sollst.“
„Mach ich doch.“
„Aber doch nicht jetzt.“

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Das existentielle Wehen im banalen Leben

Das sind menschenkundige, freundliche und sehr genaue Beobachtungen, was sich auch in den kürzesten der etwa 200 Momente zeigt. Immer spürt man entweder die Freude an der Komik der Alltagssituation; die Freude an so etwas wie einem existentiellen Wehen im banalen Leben; die Freude, dem Auge zu folgen, dem Ohr. Und die Neugier auf Menschen. Oder genauer, das Interesse am Umgang der Menschen mit ihrem Leben, mit ihren Mitmenschen, mit der Welt. Schön daran ist, dass nicht gedeutet wird, nicht erklärt. Alles, was diese kleinen Geschichten erzählen, verstehen wir, weil wir sie lesen.
Neben mir in der U-Bahn sitzen zwei Männer und unterhalten sich.
„Warst du am Wochenende bei der Gaza-Solidaritätskundgebung?“
„Nee hab ich verpasst. Du?“
„Ja, aber es waren kaum Leute da. Und dieses eine Mädchen. Die bei der Merkel geweint hat. Die Durfte nichts sagen.(…)
„Wer hat es verboten?“.
„Bestimmt die Springer-Leute, ist doch alles in Judenhand. Die Polizei übrigens auch.“
„Sei leise. Nicht dass die uns hören!“
„Die Juden? Die sind doch reich.“
„Stimmt, ich hab noch nie einen Juden in der Bahn gesehen.“

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Wirklich lustig ist das nicht. Aber wenn Ressentiments gegen Minderheiten so ungeschützt und zweifelsfrei vorgetragen werden, freut man sich über die heimliche Zuhörerin, die sie möglichst laut weitererzählt!
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Dieses Schlüsselerlebnis ist der Grundstein meiner nunmehr zehn Jahre anhaltenden Beobachtungsreise. Eine Art Therapie, die mich – außer unzähligen Tassen Kaffee – nichts kostet. Von West nach Ost (Berlin) habe ich mich durch sämtliche Cappuccinos probiert. Mehr habe ich in den letzten zehn Jahren gefühlt nicht gemacht. Sitzen, Nippen, Beobachten, Tippen.

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Die Lust an der Beobachtung

Linda Rahel Sabiers beginnt also, Szenen der Großstadt zu notieren. Sie will nicht garantieren, dass sich alles wirklich so zugetragen hat, aber es klingt danach. Sie will weder werten, noch urteilen. Sie will vielleicht noch am ehesten so etwas sein wie ein „stummer Spiegel“. „Tagebuch der Großstadt – ohne Schloss und Schlüssel“ nennt sie ihre Sammlung für sich selbst. Entstanden sind dabei kleine Geschichten, Anekdoten, Dialogsprengsel aus dem Alltag in der großen Stadt, hauptsächlich Berlin. Ein paar wenige Szenen spielen auch in Köln. Auffallend an Sabiers Miniaturen ist auch, dass kein Wort zu viel geschrieben ist. Was einen sofort einnimmt, sind die vielen unterschiedlichen Menschen und Lebensalter, die uns erzählt werden, vom kleinsten Kind, gerade der Sprache mächtig, bis zum alten Stadtbewohner, alle kommen vor. Und ich schicke es voraus: Das ist ein Buch (wenigstens) für alle Berliner Freunde und Berlin-Freunde, die Bücher an einem Örtchen liegen haben, wo sie manchmal auch nur ein bisschen alleine herumsitzen – und nicht Trübsal blasen wollen. Sie werden ihre Freude haben.
Auf der Eingangstreppe des Gorki-Theaters sitzen ein Mann und eine Frau. Sie hält mit der einen Hand seine, in der anderen Hand ein Glas Rotwein. Er schluchzt, durch die offenen Flügeltüren hören wir den ersten Gong.
„Ich sagte doch nur, dass du dir endlich mal deine Gefühle eingestehen sollst.“
„Mach ich doch.“
„Aber doch nicht jetzt.“

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Das existentielle Wehen im banalen Leben

Das sind menschenkundige, freundliche und sehr genaue Beobachtungen, was sich auch in den kürzesten der etwa 200 Momente zeigt. Immer spürt man entweder die Freude an der Komik der Alltagssituation; die Freude an so etwas wie einem existentiellen Wehen im banalen Leben; die Freude, dem Auge zu folgen, dem Ohr. Und die Neugier auf Menschen. Oder genauer, das Interesse am Umgang der Menschen mit ihrem Leben, mit ihren Mitmenschen, mit der Welt. Schön daran ist, dass nicht gedeutet wird, nicht erklärt. Alles, was diese kleinen Geschichten erzählen, verstehen wir, weil wir sie lesen.
Neben mir in der U-Bahn sitzen zwei Männer und unterhalten sich.
„Warst du am Wochenende bei der Gaza-Solidaritätskundgebung?“
„Nee hab ich verpasst. Du?“
„Ja, aber es waren kaum Leute da. Und dieses eine Mädchen. Die bei der Merkel geweint hat. Die Durfte nichts sagen.(…)
„Wer hat es verboten?“.
„Bestimmt die Springer-Leute, ist doch alles in Judenhand. Die Polizei übrigens auch.“
„Sei leise. Nicht dass die uns hören!“
„Die Juden? Die sind doch reich.“
„Stimmt, ich hab noch nie einen Juden in der Bahn gesehen.“

Quelle: Linda Rachel Sabiers – Kleine Momente in der großen Stadt

Wirklich lustig ist das nicht. Aber wenn Ressentiments gegen Minderheiten so ungeschützt und zweifelsfrei vorgetragen werden, freut man sich über die heimliche Zuhörerin, die sie möglichst laut weitererzählt!
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